"Jedes Objektiv produziert ein rundes Bild.
Die Qualität dieses Bildes ist jedoch nicht gleichmäßig."
(Andreas Feininger, 1960)
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"Das Fotografieren verkleinert die Dinge.
Die Fotografie vergrößert sie dann wieder -
um den Preis ihrer entscheidenden Dimension."
(Hanns Zischler, 2005)
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Verzerrungen - wenn auch ungewollter Art - und deren Verbergen haben in der Frühzeit den Blick auf fotografische Bilder bestimmt und diesen auf ein bestimmtes Maß eingeschränkt. Die ersten Linsen sind noch von einfacher Bauart, so dass die Daguerreotypien mit Passepartouts präsentiert werden oder Masken in der Kamera zur Anwendung kommen. Es erfolgt also eine Rahmung vor dem Bild - zeitlich, nämlich vor der Aufnahme, oder räumlich, also vor der Platte. Damit verschwinden die Unschärfen und dunkleren Partien an den Rändern und zugleich verwandeln sich die ursprünglich runden Wiedergaben in zumeist rechteckige Ansichten. Sie erhalten eine Form, die aus den Darbietungen von Gemälden und Zeichnungen geläufig ist. Viel entschiedener als mittels gestalterischer Komponenten nehmen die traditionellen Künste solchermaßen Einfluss auf die neue Bildwelt. Die apparative Sehweise, die jener des menschlichen Auges ähnelt - was den runden Ausschnitt und die Unschärfen an der Peripherie des Blickfeldes angeht - bleibt durch die Einrahmung verborgen. Lediglich die abgeschrägten Eckbereiche oder ovale Bildausschnitte, wie sie manche Passepartouts aufweisen, deuten noch auf die ursprüngliche Form.
Mit der Kadrierung wird die Daguerreotypie als ein Werk inszeniert, das ebenso betrachtet werden soll wie die manuellen Hervorbringungen der bildenden Künste. Doch die 'Begrenzungen' des Künstlers entsprechen nicht jenen des Fotografen. Während der eine seine Idee innerhalb eines Rahmens ausarbeitet, wählt der andere einen Ausschnitt aus dem größeren Ensemble des Realen und zieht - so Siegfried Kracauer - "eine vorläufige Grenze" 4 beziehungsweise - mit den Worten Thomas Neumanns - "eine verkürzte Parallele zur Wirklichkeit". 5 Das Bild des Malers und Zeichners endet an den Rändern, die dem Betrachter keine Überschreitung anbieten. Wogegen die sichtbare Welt außerhalb der fotografischen Wiedergabe wesentlich zu ihrem Verständnis gehört, dieses erst ermöglicht. Denn das manuell hergestellte Erzeugnis bedarf keiner Zeichen außerhalb des Bildes, um als Artefakt zu gelten. Während die Fotografie, um das Versprechen der Authentizität einlösen zu können, den Verweis mit sich trägt, dass die bildlichen Erscheinungen außerhalb der Bildränder ihre Fortsetzung finden. Georg Simmel hat darauf abgehoben, wenn er um die Jahrhundertwende auf die - wenn auch nicht anhaltende - Praxis hinweist, dass "man jetzt in einigermaßen geschmackvollen Milieus Photographien nach der Natur nicht mehr in Rahmen findet. Der Rahmen schickt sich nur für Gebilde von abgeschlossener Einheit, wie sie ein Stück Natur niemals hat." 6 Zugleich bewirkt der Ausschnitt ein Hervorheben der Dinge und unterstreicht damit das Wissen um das Vorhandensein der nicht gezeigten Gegenstände. Wie selbstverständlich sprengen Knipser den Rahmen, wenn sie Bilder aufbewahren, in denen das Ereignis gar nicht getroffen worden ist, sondern die Aufnahme lediglich an dieses erinnern soll. Wogegen Passepartout und Rahmen bei Gemälden und Grafiken betonen, wo das Bild endet und seine Einzigartigkeit nicht als einen Ausschnitt der Welt, sondern als Produkt der Phantasie des Künstlers herausstellen.Anton Georg Martin: Selbstporträt [?], 1840 Quelle | F.A. Fortier: Stillleben, 1839 Quelle |
Auf der vollständigen Wiedergabe der Platte zeichnen sich jeweils die Spuren ab, die durch die Herausstellung eines Bildausschnitts mittels Passepartout verursacht worden sind. |
Zu beachten ist ein besonderer Aspekt der Daguerreotypie und in der Folge ebenso der Unikatverfahren wie der Ferrotypie, des Polaroids und der Selbstbildautomaten sowie der Direktbilder wie dem Fotogramm. Nur bei diesen bestimmt der Fotograf das Format, in welchem die Bilder zur Ansicht gelangen und rezipiert werden können. Kommt ein Negativ/Positivverfahren zur Anwendung, kann der Bildautor nicht mit Bestimmtheit sagen, inwieweit die Größe des Positivs von der ursprünglich belichteten Fläche auf Platte oder Film abweichen wird, welche Konstellationen dazu führen werden, für den Abzug einen anderen Ausschnitt zu wählen als bei der Aufnahme. Dies gilt, wenn die Ausarbeitung nicht vom Fotografen, sondern von anderen Personen vorgenommen wird; es trifft aber auch zu, wenn Negativ und Positiv von derselben Person angefertigt werden. Denn oftmals gehen Elemente in ein Bild ein, die zum Zeitpunkt des Auslösens des Verschlusses nicht gewärtig sind. Zwei zeitliche Faktoren beeinflussen die Ausmaße des ins Positive gewendeten Bildes: Die Aufnahme ist ein Produkt des Augenblicks, während für die Betrachtung des Ergebnisses genügend Zeit zur Verfügung steht, um auch den Details im Bild Aufmerksamkeit zu widmen. Und zwischen dem Moment der Belichtung und jenem der Betrachtung des Bildes liegt ein kürzerer oder längerer Zeitraum, in dem immer auch neue Erfahrungen gemacht werden können.
Dass die Ausstattung der Daguerreotypie zu einer Verkleinerung des Blickwinkels führt, macht die Bilder für die Zeitgenossen nicht weniger wertvoll. So entsprechen sie erst recht dem Geist einer Epoche, die in der biedermeierlichen Darstellung das Intime dem Großartigen vorzieht. Ohnehin haben sich kleine Formate - insbesondere bei Bildnissen für eine weniger betuchte Klientel, die sich ein gemaltes Werk nicht leisten konnte - im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts mehr und mehr eingebürgert: Miniatur, Scherenschnitt, Physionotrace. Nicht zuletzt kennt die Musik jener Jahre die kleine Form, die unter verschiedenen Namen auftritt: Bagatelle, Impromptu, Moment musical u.a. "Das kulturelle Programm einer Miniaturisierung des Gesellschaftlichen kennzeichnet die meisten Kunstformen des 19. Jahrhunderts." 8 Dies trifft insbesondere auch auf Daguerreotypie und Fotografie zu, die den Maßstab der Objekte, die sie festhalten, auf zweifache Weise verändern: im Bild, wenn die Modelle vornehmlich als Privatpersonen und Familienmitglieder innerhalb von Versatzstücken eines fiktiven Wohnraums inszeniert werden; und als Bild, das nicht nur beim Porträt als kleines Format dauerhaft den Vorzug erhält. Obwohl Methoden der Vergrößerung ab 1840 bekannt sind, werden sie nur in begrenztem Ausmaß genutzt. Sogar Veduten und Gebäudeaufnahmen kommen überwiegend als kleinformatige Abzüge in den Handel und finden den Weg in die heimischen Alben und Schatullen. In der miniaturisierten Ansicht lässt sich das Nahe und Vertraute ebenso zeigen, wie das Entfernte und Fremde nahe gebracht und vertraut gemacht wird. Der intime Charakter dieser Darstellungen erlaubt auch keinen anders gearteten Modus der Rezeption. Je kleiner ein Bild desto eher ist es privilegiert für den Blick eines Einzelnen, können es mehrere Personen nicht oder gleichzeitig nur ungenügend betrachten. Dass bis heute das kleine Format dominiert - man denke an die Hervorbringungen der Knipser und an die Bildpostkarten - liegt an dem begrenzten Raum, den der Betrachter benötigt, um bei der Lektüre gewissermaßen allein zu sein. "Indem sich der Leser zum Lesen einschließt, indem er das Lesen zu einem absolut getrennten Zustand macht, der die ganze Welt untergehen lässt, [...] setzt [er] sich von der Außenwelt ab." 9 Für Roland Barthes gilt die Lust am Lesen ebenso für Bücher wie für Bilder. Dabei liegt das Vergnügen an der "Enthüllung" 10 einmal in dem vorgegebenen Text, das andere Mal in der Phantasie, die eine Geschichte in das Bild - sei es sprachlich oder fotografisch hervorgebracht - trägt. Der "Leser" der kleinen fotografischen Wiedergabe benötigt nicht die Kulissen der Guckkästen und das Arrangement des Dioramas, die ihn ins Bild 'ziehen', oder den erhöhten Standort des Panoramas, bei dem er inmitten des Rundgemäldes situiert ist, sondern die Nähe sowie die Detailgenauigkeit verschaffen ihm Einlass in die bildlichen Gefilde. Die geringe Entfernung zur Bildfläche verstärkt das "Gefühl der Nähe" 11 zu den abgebildeten Gegenständen, die zunehmend größer erscheinen, je näher das Auge der Darstellung kommt und die Umgebung, in der er sich befindet, zunehmend vergessen wird. Nicht zuletzt bieten die kleinen Zimmer und niedrigen Räume der meisten bürgerlichen Haushalte zu wenig Platz für großflächige Dekoration. "Man will nur noch kleine Bilder, weil man große nicht mehr aufhängen kann", bemerkt Balzac. 12 Zudem steigt mit der Bildgröße der Preis, und überdies bedürfen Wandbilder der Rahmung, was weitere Aufwendungen bedeutet, so dass gewöhnlich die Kommode oder der Schreibtisch des Hausherrn als Aufbewahrungsort dienen. Ökonomische Kriterien sind es auch, die bald nach Bekanntgabe der Verfahren das Format des Bildträgers bestimmen. Zunächst experimentieren die Pioniere mit selbst gebauten Kameras, von denen manche - für heutige Begriffe - extrem kleine Bilder liefern. Nicéphore Nièpce erhält 1816 Aufnahmen von 3 x 3 cm, William Henry Fox Talbots ältestes erhaltenes Negativ von 1835 hat die Maße von ungefähr 1,6 x 1,6 cm; Carl August Steinheil und Franz von Kobell fertigen im Frühjahr 1839 Fotografien mit einem Durchmesser von etwa 4 cm. 13 Seine ersten Ergebnisse erhält Albert Sands Southworth in Cabotville/Massachusetts als Daguerreotypien in der Größe einer 5 Cent Münze, also etwa 1,9 cm im Durchmesser. 14 Letztlich bestimmt die Kamera von Daguerre, die Alphonse Giroux für ihn fertigt, das Maß der Daguerreotypie. Es lautet "8 x 6 Pariser Zoll = 216 x 162 mm" für die ganze Platte 15 und davon jeweils ein aliquoter Teil, nämlich halbe Platte, Viertelplatte usw. Die 1/1 Platte entspricht in etwa der Hälfte einer Platte, wie sie für die Kupferdruckpresse in Verwendung gewesen ist, so dass sich das Format der Daguerreotypie von dem damals gebräuchlichen Papierformat von 17 x 22 inch beziehungsweise 43 x 56 cm ableitet.Diese Maße setzen sich als Standard sofort durch, weil alle Welt einen Apparat nach Daguerrescher Machart in Paris bestellt und die Nachbauten diesen vielfach zum Vorbild nehmen. Mit der Übernahme der Grundmaße der 1/1 Platte in der Daguerreotypie nimmt die Industrialisierung fotografischer Produktion ihren Anfang. Sie umfasst nicht nur den Bildträger, sondern auch die Herstellung von Rahmen, Passepartout und Etui. Das ökonomische Kalkül der Fabrikanten bestimmt fortan und bis dato das Format und damit den Ausschnitt, der den Fotografen jeweils zur Verfügung steht. Die von Voigtländer 1841 auf den Markt gebrachte Metallkamera in konischer Form setzt sich zunächst wegen der Qualität des von Joseph Petzval errechneten lichtstarken Objektivs für Porträts erfolgreich durch. Nachdem aber andere Apparate mit gleich guter Optik angeboten werden, verliert sie rasch an Boden, auch weil eine industrielle Herstellung der runden Platten wegen des größeren Materialbedarfs und der kleinen Stückzahl unwirtschaftlich war beziehungsweise diese gegenüber den rechteckigen Produkten verteuerte.
Es sind die Apparaturen, die bei der Aufnahme, Ausarbeitung und Betrachtung den Ausschlag zur Bestimmung des Formats geben. So setzt sich beispielsweise bei Stereobildern ein Bildformat von jeweils 7 x 7 cm durch, nachdem transparente Glaspositive auch für Projektionszwecke verwendet werden und das Skioptikon für die entsprechende Facon ausgerichtet ist. Sogar runde Abzüge kommen wieder in Gebrauch, als in den 1880er Jahren mit Taschen- und Handkameras für den privaten Gebrauch eine Vielzahl von Kameratypen ganz unterschiedlicher Konstruktion und meist geringen Gewichts angeboten werden. Die Stirn-Kamera ist mit einer Scheibe ausgestattet, auf der sechs Negativplatten montiert sind, die nacheinander belichtet werden können. Wegen des runden Gehäuses benötigen runde Platten weniger Platz als eckige. Wohl in Anlehnung an dieses erfolgreiche Fabrikat, das 1886 auf den Markt kommt, liefern die ersten Kodak-Kameras ab 1888 gleichfalls runde Bilder, allerdings auf einem Rollfilm. Die Produktion von Apparaten für runde Negative wird allerdings 1897 aufgegeben. 16
Bemerkenswert bleibt, dass im 19. wie im 20. Jahrhundert immer wieder runde oder ovale Bilder in Gebrauch kommen. Das betrifft vornehmlich die Vignettierung von Porträtaufnahmen, wenn bei der Ausarbeitung mit Schablonen gearbeitet wird oder Abzüge entsprechend beschnitten und auf Untersatzkartons geklebt werden. Begonnen hat man damit bereits in den 1850er Jahren, einer gewissen Beliebtheit erfreut sich dieserart Präsentation bei Porträts auch noch in den 1930er Jahren. Abgesehen von den ästhetischen Implikationen mag man solche Formatierungen als eine Reminiszenz auf den eigentlichen apparativen Entwurf ansehen, auch weil runde Bilderformate besonders dann angeboten werden, wenn mit neuen Möglichkeiten der Bildherstellung und -wiedergabe neue Kundenkreise erschlossen werden sollen. Die runde Form mit ihrer Offenheit nach allen Seiten steht dann für die Modernität der technischen Neuerung und ist nicht auf fotografische Anwendungen beschränkt. Viele der in den 1930er Jahren entworfenen Empfänger für das Fernsehen weisen runde Bildschirme auf, und noch eineinhalb Jahrzehnte später werden solcherart Geräte gefertigt. 17
Durchgesetzt hat sich das Querformat, wobei man bei manchen Sendungen heute mit derselben Problematik konfrontiert ist wie jene eingangs erwähnten Erfinder, die die Formatfrage für den Film lösen wollten. Werden nämlich querformatige Bilder gezeigt, so erfolgt dies gewöhnlich Bildschirm-füllend; dagegen erscheinen hochformatige Bilder notgedrungen kleiner und weisen auf einer oder beiden Seiten meist einfarbige, jedenfalls bildfremde Flächen oder Hintergründe auf. Auch bei Büchern ist eine Praxis, die bis in die 1950er Jahre gängig war, nahezu vollkommen aus der Mode gekommen, nämlich Abbildungen im Querformat um 90° gedreht über eine ganze Seite und damit in derselben Größe wiederzugeben wie Hochformate. Damit wird den Bildern - wenn auch ohne Absicht - unterschiedliche Bedeutung zugemessen, wofür die Größe der Wiedergabe unter anderem Ausdruck ist. Die televisionäre Kultur hat - zuletzt mit Handy und Computer - eine eingeübte Sehweise festgeschrieben.24.6./ 11.9.2008
© Timm Starl 2008
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